*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76515 *** Anmerkungen zur Transkription. Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist _so ausgezeichnet_. Typographische Fehler sind stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert. Heimat und Fremde. Gedichte von Franz S. Gschmeidler. [Illustration] 1920. Verlag der »Mödlinger Nachrichten«, Mödling bei Wien. Donauland. Heiliger Name, der fromm wie Gebet Auf den Lippen von Tausenden steht, Schmeichelnd ums Herz wie Mutterhand: Donauland! Rebenumsponnen spiegelt dein Bild Tief sich im Strom, dem mächtigen, mild, Der dich umkränzt mit silbernem Band, Donauland! Uralter Boden, mit Herzblut gedüngt, Immer erhobst du dich wieder verjüngt Gleich einem Phönix aus glutendem Brand, Donauland! Deine Schollen trat oft der Tod, Oft, seit der Nibelungen Not, Viel des Streits deinem Boden entstand, Donauland! Aber du prangst wie die schönste der Frau’n: Deine Reben sind Gold, blührot deine Au’n Und vom Brote duftet dein Ackersand, Donauland! Donauland — wer das Wort nur spricht, Redet Musik, formt ein Gedicht, Wie’s noch kein Dichter schöner erfand: Donauland! Wer dich nennt, ruft Erinnerung wach, Wer dich kennt, geht dir sehnend nach, Immer in Liebe dir zugewandt, Donauland! Mödling. Willst du Mödling lieb gewinnen, Steig den Frauenstein hinan Oder auf des Kirchbergs Zinnen, Schau die Stadt von oben an! Unter dir, ein Riesenfächer, Liegt der Häuser bunte Meng’, Hohe Giebel, graue Dächer, Wirre Gassen, breit und eng. Über all dem siehst du ragen Hoch der Othmarkirche Bau Als ein Hort von frommen Sagen, Stolz und ernst und wettergrau. Und das alte Rathaus drüben, Von Jahrhunderten umkreist, Ist sich immer gleich geblieben, Herrscht auch drin ein neuer Geist. Noch ein Zeuge ferner Jahre Steht im lauten Stadtgewühl: Dunkler Kirchturm ragt ins Klare, Wo die Straße weist zur Brühl. Niedre Häuser, schmale Gärten Schmiegen sich ans Felsgestein, Schwarze Föhren von den Höhen Trotzig schau’n ins Tal hinein. Und die Wälder, die da grünen In verschwiegner heil’ger Pracht, Halten mit den Burgruinen Hoch auf Bergen treue Wacht. Halten Wacht, daß deutsche Sitte Und der Väter Brauch und Recht Walte fort in Haus und Hütte, Rein bewahrt und ungeschwächt. Segne Gott euch, deutsche Schollen! Dich, du Stadt, die drauf erblüht! Segen jedem, dessen Wollen Sich um dein Gedeih’n bemüht! Am Frauenstein. Als mild der Tag die Augen zum Schlummer zugetan, Stieg ich auf dunkeln Pfaden den Frauenstein hinan. Tief unter mir lag friedlich die große, bunte Stadt, Die hohe und niedere Häuser mit Gärten dahinter hat. Schon blitzten in manchen Fenstern die ersten Lichter auf, Und von der Othmarkirche klang Aveläuten herauf. Blaunebel stiegen und woben ums graue Felsgestein, Wie warmes Herzblut tauchte das sinkende Sonnlicht drein. Und seltsam leise harfte der Wind durch Tann und Ried, Es klang als säng’ einem Kinde die Mutter ein Wiegenlied. Mir war so ernst zumute, als wehte Geisterhauch Durchs schwarze Geäst der Föhren und um mich selber auch. Da griff’s mir an der Seele, da legt’ ich Hand in Hand Und schaute feuchten Auges hinunter aufs stille Land. »Herrgott«, so sprach ich betend, »laß du mein Österreich Von Streit und Schmerzen gesunden, an denen es überreich! Gieb Friede wie am Abend in Hütte und in Haus Und scheuch aus allen Herzen den finstern Haß hinaus! Gib Friede allen, allen, soweit das Auge reicht, Und mach die Lebensbürde, die schwere, allen leicht! Gib allen Müden Träume, die süß und selig sind...« Mir war’s, als spräch’ ein Amen in mein Gebet der Wind. Eine alte Stadt... Eine alte Stadt, eine liebe Stadt, Die hohe und niedere Häuser hat Und tief in Gärten liegt versteckt, Mit Duft und Blüten zugedeckt. Zwei finstere Kirchen mit steilen Türmen Schaun drüber, als wollten die Stadt sie schirmen Und all die vielen heimlich segnen, Die in den Straßen sich begegnen. Eine stille Stadt, eine graue Stadt, Die ringsum schwarze Wälder hat Und Bergeshöhn und Burgruinen, Die viel von Not und Waffenstreit Aus längst verrauschter ferner Zeit, Von guten und von bösen Tagen Zu künden wissen und nicht sagen... Eine liebe Stadt, eine traute Stadt, Die plätschernde Brunnen am Marktplatz hat Und winklige Gassen und Mühlen und Brücken Und Linden vorm Tor, die bedächtig nicken. Dies alles lieb’ ich und halt’ ich in Ehr, Als ob’s meiner Eltern Erbteil wär’, Mit ihrem Segen mir verschrieben, Es bis ans Lebensend’ zu lieben. Eine alte Stadt, eine stille Stadt, Die mir das Herz bezaubert hat Und mich mit Eisenklammern hält, Nicht fortzugeh’n in die fremde Welt. Denn draußen weit am Friedhofsrain, Da schließt ein Grab mein Liebstes ein... An den Frühling. (1919.) Wieder blühts in Busch und Bäumen Und auf Wiesen gelb und blau — Aber ach wie viele liegen Tot auf ferner, fremder Au! Durch die Aecker gehn die Pflüge Und das Korn liegt ausgesät — Bitter ist es sterben müssen, Wenn die Welt in Blüten steht! Laut der Kuckuck schreit im Walde, Lauer Wind geht düfteschwer — Wie tut weh da der Gedanke: Den du liebst, der kommt nicht mehr! Und der Lenz bringt Rosen wieder, Junge Sonne, neues Glück — Warum bringt er aus den Gräbern Uns die Toten nicht zurück? Unsre Söhne, die gefallen, Die verströmt ihr Herzblut rot? Unsre Besten, die gegangen Für die Heimat in den Tod? Jetzt, da Eisentritt der Schlachten Stampft durchs maiengrüne Land, Willst du, Frühling, Rosen zaubern Aus der Gärten Qualm und Brand? Geh und wasch dein Sonntagslächeln Lieber dir vom Angesicht Mit den Tränen, die wir weinen, Doch mit Rosen schmück dich nicht! Nimm den Bäumen ihre Knospen, Scheuch die Lerchen aus der Höh’ Und den Himmel hüll in Wolken, Denn dein Blühen tut uns weh! Ich ging durch die Felder. Ich ging durch die Felder zur Mitternachtszeit, Da prangte der Himmel im Sternengeschmeid. Ein Wässerlein schlich sich entlang den Rain, Das blinkte wie Silber im Mondenschein. Längst schliefen die Winde in Rohr und Halm; Blau dampfte der Nebel wie Weihrauchqualm Und fegte mir Düfte über den Weg. Müd rauschte der Bach unterm Brückensteg, Auf dem ich wie traumversonnen stand Und Ausschau hielt auf das schlafende Land, Das blankte und gleiste aus Fernen her Tauperlenvoll und blütenschwer. Ganz nah im Busch wo am Wiesenhang Nur spät ein Vogellied noch klang, Das trunken aus Heckenrosen stieg Und schluchzte, bis es plötzlich schwieg, Als hätte jäh sein süßes Lallen Die Müdigkeit des Schlafs befallen. Ich horcht’ ihm zu, bis schwand sein Ton. Dann ging ich leis’ und scheu davon, Um nicht durch meinen Tritt zu wecken Den kleinen Vogel in den Hecken, Der noch im Schlaf sich sang so spät Ein glückdurchhauchtes Nachtgebet. In sternenarmen Nächten... In sternenarmen Nächten, Wenn feuchter Nebel braut Und durch die Wolken der bleiche, Wehmütige Vollmond schaut; Wenn schwarze Wasser rauschen Durch Feld und Heidemoor, Der Nachtwind verstohlen wispert Im schläfrigen Binsenrohr; Wenn längst in den stillen Gassen Das letzte der Lichter verglüht: Dann geh ich, das Herz voll Träume, Durchs Land wie ein spätes Lied Im Schweigen der schlafenden Dörfer Ganz mutterseelenallein, Und niemand ist mein Begleiter Als der traurige Mondenschein. Das erste Schneeglöckchen. Der Tauwind ist kichernd durchs Land geschlichen, Sein warmer Wind zerküßte den Schnee, Frostblumen sind an den Fenstern verblichen, Seine Eisketten sprengte klirrend der See. Am Waldrand ein Schneeglöckchen, das erste von allen Im weißen Hemdchen steht frierend im Moos: Ein Liebesgedanke, zu früh entfallen Dem Frühling, der selbst noch heimatlos. Osterglocken. Die Verstummten singen wieder Hoch von steiler Türme Rand Und ihr Dröhnen rauscht hernieder Schwerem Regen gleich ins Land. In die Tiefe, durch die Düfte, Die aus Aun und Wiesen wehn, Über Klüfte, über Grüfte Hallt ihr Lied vom Auferstehn. Nach dem Liede lauschen alle, Die im Staub der Straße ziehn, Überwältigt von dem Schalle Hoher, heiliger Melodien, Die den dumpfen Glockenhöhlen Sich entrungen selbstbefreit, Sturmbeschwingte Jubelseelen, Kündiger der Ewigkeit. Alle, die nach Glück noch fragen, Deren Gang ein Blütengang; Alle, die ein Leid beklagen, Ruft zu sich der mächtge Sang Aus den Höhn, der durch die Trübe Trägt die traute Wundermär Von der gottgewordnen Liebe, Die viel tiefer als das Meer. Von der Liebe, die noch größer Als der Menschheit ganzes Leid, Die mit uns geht als Erlöser Ungesehn durch Raum und Zeit; Von der Liebe, die gestorben, Die von Tod zu Tode drängt, Dennoch lebt und lichtumworben Gräber öffnet, Särge sprengt... Und die Glocken singen’s allen, Die mit Mühn beladen sind; Brausend ist ihr ehern Schallen Wie der wilde Märzenwind: Menschen laßt den Haß vergehen, Daß nur Liebe fürder spricht Und auf jeder Stirn zu sehen Glanz vom Heilandsangesicht! Wie aus winterdunkeln Stunden Aufersteht das weite Land, Das aus Blüten sich gewunden Selbst ein schimmernd Brautgewand, Sollt auch ihr beim Osterläuten Auferstehen unbetrübt Und die Hände segnend breiten Über alle, die ihr liebt! März. Im Gäßchen spielt eine Kinderschar. Am nahen Hausdach singt ein Star Hinein in den Lärm der Buben. Weit offen Türen und Fenster stehn. Die Düfte von Hyazinthen wehn Heraus aus den stillen Stuben. Ein lauer Wind streicht übers Dach Und küßt die ersten Blumen wach, Die vielen blauen und weißen. Der Star am Hausdach singt sein Lied, Er singt und singt und wird nicht müd, Den Lenz willkommen zu heißen. Ich will vergessen... Die jungen Finken lärmen Im dunkeln Tannenhag. Ich muß mich grämen und härmen Um Dich bei Nacht und Tag. Durch Wipfel und Blütenbäume Die Schauer des Frühlings weh’n. Ich spür’ durch meine Träume Ein trauriges Sehnen geh’n. Wild stäubt um Hochlandsfirnen Der Wind mit Singen und Schrei’n. Ich bin ganz stille geworden Und schweig in mich hinein. Ich will ins Elend wandern So weit mich trägt der Fuß Und fern von Dir vergessen, Was ich vergessen muß. Stummes Scheiden. Die Nacht war ohne Sterne, Blaunebel zog durchs Laub, Er wirbelte durch die Lüfte Wie aufgewühlter Staub. Da gingen wir miteinander Weit über die Wiesen fort, Gesenkt die Häupter traurig Und sprachen nicht ein Wort. Am Rain nur, als wir schieden, Da blickten vom Boden wir auf — Du gingst den Weg hinunter Und ich den Weg hinauf. Wir reichten uns nicht die Hände Und blieben ernst und stumm; Wir gingen und keines schaute Sich nach dem andern um. Die letzten Rosen. Die letzten Rosen fielen Verblichen in den Staub Und wilde Winde spielen Sich mit dem Blütenraub. Im Hain, wo’s still geworden, Regt sich kein Singen mehr. Die Wolken ziehen von Norden Wie Nebelfrauen daher. Verwelkte Gärten breiten Sich weit ins Land hinaus. Nun kommen stille Zeiten Und alles Blühen ist aus. Nun muß der Frühlingsglaube In grauer Luft verwehn Und tief im Menschenherzen Die Sehnsucht schlafen gehn. Hochsommernacht. Wie Sonnwendfeuer auf Berghöhn betet, So flammt, von Blut der Rosen umrötet, Brennende Sommerblumenpracht In der durchsichtig klaren Mitternacht. Hochmütig stehn als irrlichternde Wacht Die Sterne drüber. Sie funkeln wie goldene Nägel, Die der Herrgott mit weißen Fingern In die Himmelsbläue schlug, Dran Wolken sich blähn, leichtfertige Dinger, Wie schwanenweiße Fischersegel Im Windesflug. Die Fenster stehn offen wie ein Ohr, das lauscht. Ein Röhrbrunnen schläfrig rauscht. Ein später Schritt hallt durch die Gassen, Verweht, zerflattert wie ein verklingender Akkord, Wie ein letztes Wort, das Verliebte getauscht, Die einander nur zögernd verlassen. Der Mondglanz rieselt um Blüten und Baum Gleich flüssigem Silber aus Marmorbronnen. In einem Garten wo singt dünn und schrill Ein kleiner Vogel ein Lied noch im Traum. Und sonst ist’s still. Die ganze Welt liegt tief ins weite, weiße Spinnennetz Der Ruhe eingesponnen... Einsames Wachen. Lenzschwüles Nachtblau deckt die Wege zu. Das Dorf liegt dunkel da. Rings tiefe Ruh. Still rinnt der Bach vorbei an Wies’ und Weiden. Nur noch mein Herz schlägt heiß in später Stund’ Und träumt hinaus und schreit sich sehnsuchtswund In seinem Trotz und will sich nicht bescheiden. Duft steigt aus Blütengärten überall Und will das ganze, endlos weite All Mit seinem schwülen Hauch verschütten. Nur noch mein Herz ist wach, weil’s wachen mag, Ist jung und heiß, drum hat’s so wilden Schlag: Es fragt nicht viel nach Traum in Tal und Hütten. Ich bin allein, allein, der ruft und wacht In dieser stillen, großen, finstern Nacht; Der Nebel faßt mich an mit seinen weichen Armen. Die Stunden geh’n und geh’n zur Ewigkeit... Ich träum’ und träum’, mein Herz ist wild und schreit Und niemand sieht’s und will sich mein erbarmen. Es geht mit leisem Wehen... Es geht mit leisem Wehen Der Frühling durch das Land — Ich weiß nicht, was ich habe, Meine Seele steht in Brand! Es fangen die ersten Veilchen Schon an zu blühn am Rain — Ich möchte jubeln und weinen Vor lauter Seligsein! Ich geh unter blauem Himmel, Durch Blüten und grüne Au Und denk bei jedem Schritte An eine geliebte Frau. An eine Frau, deren Augen Mir Glück und Heimat sind, Und ach! deren Lippen brennen Heiß wie der Sommerwind... September. Zugvögel ziehn. Und kränkelnd färben Die Wipfel sich. Feldblumen sterben Auf Wiesen, Auen und am Rain. Marienfäden fliegen leicht und linde Im kühlen Winde Und wiegen sich im letzten Sonnenschein. Fruchtschwere Äste neigen sich in Lauben Und von den Hügeln leuchten blau und weiß Die runden, vollen, reifen Trauben. Es steigt aus ihnen herb und heiß Der Duft von Most, von süßem, jungen Wein Und Frühherbstwehmut des Ans-Sterbenglauben... Mittagsstille. Blauer Himmel breitet seine Schleier Uebers weiße, wegdurchfurchte Land, Nicht ein Lufthauch stört die müde Feier In dem heißen, grellen Mittagsbrand. Schüchtern rieselt fort am Rain die Quelle Und die gelben Ähren rascheln leis’, Sensenklirren zittert durch die Helle, Und auf Bauernstirnen glänzt der Schweiß. Nicht ein Vogellied durchbebt die Stille, Nicht ein Ruf, ein Hall zieht übers Feld, Eingelullt in Schlafheit liegt der Wille Einer ganzen großen weiten Welt. In der Fremde. Einst war’s, da bin gefahren Hinein ich in fremdes Land, Wo fremd die Menschen waren, Wo niemand mich verstand; Wo die Wolken und der Himmel, Die leuchtende Sonnenzier Und nachts die tausend Sterne So fremd erschienen mir. Und als da mit den Leuten Zu reden ich begann, Da schüttelten alle die Köpfe Und blickten mich hilflos an; Sie hörten mich wohl, doch keiner Den Sinn meiner Worte verstund; Ich sprach und sprach zu ihnen Aus einem fremden Mund. Da fühlt ichs jäh, wie Heimweh Durchs innerste Herz mir ging Und des Leids eine bittere Träne Mir einsam im Auge hing. Und da — da blickten die Leute Mitleidig mir ins Gesicht, Da hat mich jeder verstanden, Verstand er mein Wort auch nicht! Es gibt ein Land... Es gibt ein Land, wo nie die Blumen welken Und nie der Frostwind tötlich weht, Ein Land, wo nie die Sterne sinken, Nie eine Nacht am Himmel steht. Es gibt ein Land, wo tiefes Schweigen Wie in der Kirche wohnt, Ein Land, so schön und wundereigen, Wie keins auf Erden thront. Es ist ein Land, wo nie die Stunden tauschen, Die Gärten blütenüberschüttet stehn, Wo klare Wasser silberfädig rauschen Und lichte Glückgestalten Einander umschlungen halten Und auf und niedergehn. Es ist ein Land, das liegt in blauer Ferne, Vom Glanz der Ewigkeit umweht, Ist Gottes Heimat auf dem unerreichten Sterne, Nach dem die Sehnsucht aller Staubgebornen geht. Glück. Ein leise zitternder Geigenton, Der singend kommt und zieht davon; Ein vergess’ner Gedanke, der unbegehrt Wie ein Blitz am Himmel vorüberfährt; Ein Wort, das aus Tiefen der Seele steigt Und, kaum erklungen, schon wieder schweigt; Ein Lächeln, das über ein Antlitz fuhr Und drauf zurückläßt keine Spur; Und aus Frauenaugen ein flüchtiger Blick: — So kurz von Dauer ist alles Glück. Heimweh. Am Meeresstrand bin ich gesessen, Vom Wogengischt umbraut, Und hab mit verlorenen Blicken Hinaus aufs Meer geschaut. Viel Schiffe glitten draußen In blauer Flut vorbei, Seemöven zogen mit ihnen Und lärmten mit heiserem Schrei. Von steilen Hügeln hernieder Trug’s schwülen Blütenstaub. Der Seewind schmiegte sich zärtlich Ins schimmernde Myrthenlaub. Mich aber zog zur Heimat Ein brennender Sehnsuchtstraum, Zur Heimat, wo auf Bergen Grünt ewig der Tannenbaum. Wo über den Aehrenfeldern Schwebt silberner Lerchenton Und gütige Sonne leuchtet Gluttrunken wie roter Mohn. Wo liebliche Dörfer sich breiten Mit Mühlen an Fluß und Wehr — Da weint’ ich vor Heimweh leise Und die Tränen rannen ins Meer. Heilige Nacht. Dämmerstille Gassen, Sterne schaun herein. Alle Fenster funkeln voller Lichterschein. Schmucke Gabenbäume in den Stuben stehn, Reichbeglückte Menschen Aug’ in Aug’ sich sehn. Mistelzweige grünen und der Tannenbaum Duftet herb durchs Zimmer — o du Kindertraum! O du heller Zauber heil’ger Weihenacht, Web’ durchs Dunkel wieder heimlich, fromm und sacht! Liebe ist gekommen aus verschneitem Land, Liebe, die der Heiland einst für uns empfand, Und sie redet wieder, keusch und silberbleich, Von verschollnen Wundern und vom Gottesreich. In ihr süßes Raunen hallen Glocken drein, Die ihr Beten tragen auf zum Sternenschein. Weiße Engel haben in des Ew’gen Raum Wispernd angezündet einen Weihnachtsbaum: Goldne Lichtlein steckten sie der Nacht ins Haar Und sie glänzt hernieder licht und wunderbar. Menschen und Sterne. Am Himmel kreisen die Sternlein Urewig die gleiche Bahn Und achten treuen Scheines, Daß keines Stößt je ans andre an. Auf Erden wandern die Menschen Nur wenige Jahre hin, Und doch kaum zwei hienieden In Frieden Die Lebensstraße ziehn. Das weiß nur Gott allein. (1918.) Wer sieht und zählt die Tränen Seit Monden schon geweint Um ungezählte Kämpfer, Geblieben vor dem Feind? Und wer beschreibt den Jammer, Der wild und wilder klagt, Mit dem ein Heer von Müttern Nach seinen Söhnen fragt? Wer weiß um all die Kinder, Die ohne Väter stehn, Für die soviele Liebe Hat müssen sterben gehn? Wer weiß, wie viele Bräute, Hold in der Myrthe Grün, Nun tragen glückzerbrochen Ein Sträußlein Rosmarin? Wer’s weiß? Vor so viel Elend Wird jede Lippe stumm — Wenn’s Einer weiß, so weiß wohl Nur Gott allein darum! Stephan Milow. (Prolog zur Enthüllungsfeier seiner Gedenktafel am Wohn- und Sterbehause des Dichters in Mödling am 25. Juli 1915.) Im Lenzmond war’s. Ein Sonntag, hell und klar wie heute, Da klang vom Stadtdom her ein dumpfes Grabgeläute Und eine Menge Volks umdrängte stumm dies Haus, Aus dem sie weinend trugen einen Sarg heraus, In dem ein Dichter lag, der Lied um Lied gesungen, Bis daß vom Schmerz erdrückt sein armes Herz zersprungen. Ein Dichter war’s, der mit der Seele ganzem Sehnen Voll heißem Heimweh suchte nach dem Ewigschönen; Ein Träumer war’s, der irrte fort in weite Fernen Hoch über sich hinaus nach unerreichten Sternen; Ein Einsamstiller war’s, ein Welt- und Wegemüder, Der sich verschenkte in dem Goldquell seiner Lieder; Und auch ein Dulder war’s, der bis ans Ziel geschritten Mit stolzem Haupt, wie viel und schwer er auch gelitten! Nun ruht er längst da draußen vor der lauten Stadt, Die er geliebt als seine zweite Heimat hat, Auf der sein ernstes Auge zärtlich oft geruht, Wenn er vorm Hause saß in stiller Abendglut, Voll weisem Sinn der dunkeln Lebensrätseln sann Und leidverklärt sich tief in lichte Träume spann, Bis eine letzte Nacht ihm gab die letzte Ruh: — Und dieser Dichter, Stephan Milow, der warst du! Du warst’s, der wunschlos still im Lenzmond schied von hier Für ewig — weh, ein Unsterblicher starb mit dir! Ein Güterreicher, der sein ganzes Lebenlang Ums Herz des deutschen Volkes warb, bis er’s bezwang, Bis er ein Heimrecht fand im deutschen Sprachgebiet Für sich und das, woran sein Herzblut hing; sein Lied! Sein Lied, das wie Gebet klingt durch die Not der Welt, Wie Sonntagsglocken, die sich schwingen übers Feld, Und hoch erhebt, so hoch ein Lied es nur vermag, Zu Licht und Frieden und der Seele Feiertag... Was du im Lied verschenkt an Menschentrost und Glück, Gab, Milow, zögernd nur das Schicksal dir zurück! Denn spät, als schon dein Weg in Dämmrung sich verlor, Grünte aus Dornen erst der Lorbeer dir empor; Und als zu müd du warst, um dich noch laut zu freu’n, Goß über dich der Ruhm erst seinen Spätherbstschein, Um zu versöhnen dich noch vor des Lebens Endung Mit deinem Erdgeschick und deiner Dichtersendung. Doch weil du abseits gingst, fern allem Marktgedränge, Wardst du verkannt, zu spät verstanden von der Menge. Zu spät! Das war die Lebenstragik schon von Vielen Und war es auch bei dir und deinen höchsten Zielen! Mehr aber noch: dein Glück und Unglück war’s zugleich, Daß du ein deutscher Dichter warst in Oesterreich! Wie dem auch sei, an deines Hügels Grabzypressen Seufzt deutsches Leid um dich — du bleibst uns unvergessen! Und als der Nachwelt Dank blinkt hell in Erz gebaut An diesem Haus dein Bild, wie Liebe dich geschaut. Dein Bild in Erz und Stein, das Kind und Kindeskind Soll mahnen noch an dich, wenn längst wir nicht mehr sind; Soll wie dein Lied uns sein von dir noch eine Fährte, Wenn längst dein Staub zerfiel in kühler, deutscher Erde! — Dir, Milow, ward zuletzt, was du ersehnt, beschieden. Nur uns umklirrt noch Kampf. Wann kommt für uns der Frieden? Allmächt’ger Gott, zu dem wir betend flüchten In dieser wirren Zeit, da Völker sich vernichten, Laß endlich Friede sein! Tilg aus den Weltenbrand Und gib uns Sieg und segne unser Vaterland! An Franz Keim. (Zu seinem 75. Geburtstage.) Die Zeiten sind ernst und voll Not und Tod, Sie reden jetzt eisern und bleiern — Wie tief mußt du da ins Herz hinein Gewachsen dem Volk als Dichter sein, Wenn es trotzdem nicht läßt, dich zu feiern! Und wenn es dich feiert, wir feiern dich mit Als ein Sandkorn im deutschen Volke; Und was wir dir wünschen, wir wünschen ’s dir gern: Nie welke dein Kranz, nie sinke dein Stern, Dein Weg sei voll rosiger Wolke! Dein Singen war immer ein heiliger Sang, Er rauschte aus Herzensgründen. Durch jedes Lied deine Seele sich schwang Wie Geigenjubel und Glockenklang Und seliges Heimwärtsfinden. Und Liebe zur Heimat, zu deinem Volk Ließ deine Saiten erklingen, Durchwehte dein Singen, bergwasserklar, Wie noch kein Sang je frömmer war, Seit deutsche Dichter singen. Wer pries wie du den deutschen Wald? Des Frühlings Weben und Wehen? Wer deutscher Treue Eichenkranz Und Frauenminne und Waffentanz Wie du so voll Verstehen? Wer sang wie du von Sturm und Kampf In lauten, flammenden Liedern? Und wer wie du so warm zugleich Von der Liebe zum Bruder draußen im Reich Und seines Grußes Erwidern? Wer schaute mit gleichem Seherblick Voraus den Gang der Zeiten? Und wem erschloß sich der Töne Schacht Wie dir? Wer meisterte so mit Macht Das spröde Gold der Saiten? Dein Lebensbekenntnis liegt in dem Wort: »Für Andere kämpfen und leiden Und (muß es sein) auch untergehn!« Gibts noch ein höheres Wunschlosstehn Und ein tiefres Sichselbstbescheiden? Mag’s Dichter geben von andrer Art, Du bist ein deutscher Dichter! Stolz kannst du’s weisen und ohne Hehl — Wer’s zweifelt, les deinen »Mephistophel« Oder deinen »Königsrichter«! Der les, wenn sein Herz nicht schönheitstaub, Deine »Lieder aus Fernen und Weiten«, Dann wird er segnend dir küssen die Hand Und König dich nennen im Dichterland, Einen Großen in großen Zeiten! Und so segnen auch wir dich mit Liebe heiß, Wie sie Männerherzen empfinden Und geben dir treu alle Liebe zurück, Die du für deines Volkes Glück Und Größe gewußt zu entzünden. Geh lieb mit allen Menschen um... Geh lieb mit allen Menschen um Und trag durch diese Welt voll Weh Der Liebe Evangelium Als Stern im Sturm, als Lenz im Schnee! Geh lieb mit allen Menschen um Und tröst, wo eine Träne rinnt! Der Menschheit großes Duldertum Läßt klein uns werden wie ein Kind. Geh lieb mit allen Menschen um Und pflücke in der Liebe Land Ein Rosensträußlein, leg es stumm In jede arm gewordne Hand! Geh lieb mit allen Menschen um Und heb das Kreuz, das mancher trägt! Das ist bei mir ein größ’rer Ruhm Als der ist, der nur Wunden schlägt... Eins ist, was bitter stimmt... Eins ist, was gar so bitter stimmt: Daß alle Liebe, die wir je erfahren, Und alle Güte, die ein Herz vernimmt, Vergessen wird und schwindet mit den Jahren; Daß mit dem Lenz, der auf den Wangen stirbt, Auch alle Freudenfeuer niederbrennen Und unsre Seele sich das Eine nur erwirbt: An totes Glück sich spät erinnern können! Trag’s still. Wenn je ein Liebes von dir schied Mit wehem, gramverschwiegnem Munde, Trag’s still! Es war ein Schicksalslied, Das dir erklang in dunkler Stunde. Und stürzte dir ein Himmel ein Und ging dir eine Welk zugrunde, Trag’s still! Leicht kann’s zum Segen sein, Dir aufgeblüht in dunkler Stunde! Das Leben kommt und geht wie’s will, Und schlägt’s dir noch so tiefe Wunde, Trag’s still! Du wirst einst selber still, Kommt über dich die letzte Stunde. Schicksal. Hoch über irdischer Bedrängnis Thront streng wie kalte Winternacht Und ewig wie der Gottheit Macht Ein finstres, allgewaltiges Verhängnis... Das fragt nach Wünschen nicht und Zielen, Nach Glück der Erdenkinder nicht; Oft scheint’s mit Herzen nur zu spielen Und fragt nicht, ob eins zuckend bricht. Es drängt sich zwischen Menschenpaare Und macht mit seinem Schicksalszwang Unglücklich sie für viele Jahre, Oft für ein ganzes Leben lang. Der größte Schmerz. Von allen Erdenschmerzen Muß das der größte sein: Zu stehn mit vollem Herzen In weiter Welt allein. Müd sich nach Liebe suchen, Um die die Sehnsucht weint, Und seinem Leben fluchen, Für das kein Glück mehr scheint. Viel bittrer noch als Sterben Ist Lebenmüssen oft, Wenn’s Herz, glückarm geworden, Nichts glaubt mehr und nichts hofft; Wenn ihm sein Lenz entblättert, Eh er noch recht erblüht, Und was es einst vergöttert, Im Staube liegen sieht. Liebe. Was echte, rechte Liebe ist, Kommt fröhlich nicht gegangen, Kommt auch mit hellem Lachen nicht Und nicht mit Sonnschein im Gesicht Und Rosen auf den Wangen. Was echte, rechte Liebe ist, Kommt ernst wie Kirchhoffrieden, Wie Schicksal, das uns zugedacht, Wie hohe, heil’ge Gottesmacht, Um Herz an Herz zu schmieden. Gleichnis. Die Sonnenblume wendet Ihr gelbes Blütengesicht Dem Licht der Sonne entgegen Und blüht ohne Sonne nicht. Sie ist eine Tochter des Tages, Sie fühlt sich fremd in der Nacht Unterm frostkalten Funkeln der Sterne Und seufzt nach der Sonnenpracht. So ist das Herz der Menschen Von der Sonnenblume ein Stück: Es knüpft sein Sehnen an Liebe Und kennt ohne Liebe kein Glück. Es glüht nur im Licht seiner Sonne, Im Dunkel erschauerts voll Not Und wünscht sich, um Liebe weinend, Tiefinnerlich selbst den Tod... Die Wahrheit. Die Wahrheit hat goldene Schuhe Und wandert durch den Tag, Sie lebt in der ewigen Ruhe Hoch überm Sternenhag. Die Wahrheit ist der Frieden, Vor dem das Leid zerschellt, Ihr Reich ist nicht hienieden, Ist nicht von dieser Welt. Die Wahrheit ist das Schöne, Das uns zur Andacht zwingt Und mit der Macht der Töne Ein Lied des Ewigen singt. Guter Rat. Nimm vom Tag, was er dir gibt, Laß dir nie das Herz beschweren! Was dir heut’ den Sinn betrübt, Kann sich morgen wieder klären! Besser lebt, wer aus der Stund’ Schöpft das Beste immer wieder — Weint das Herz, so lacht der Mund Und aus Tränen werden Lieder! Hoch das Haupt in Sturm und Nacht Mußt du tragen, willst du siegen: Glaube an sich selbst ist Macht Und nur Zweifelnde erliegen! Widerlegung. Ich hab einst irgendwo das schöne Wort gelesen: »Was einmal war, ist so, als wär’ es nie gewesen.« Mir aber scheint dies Wort nicht tief genug und kar — Wie wirkte sonst noch fort in uns, was einmal war! Was wär’ denn dann das Glück, das einmal wir erlebt, Blieb keine Spur zurück in uns, wenn es entschwebt! Was wär’ der Liebe Glanz und alles Weltgeschehn, Wenn wär’ vergessen ganz, was schwand, um zu vergehn! Nein — was einst war, das ist und wenn’s auch zehnmal schwand! Ein Blick, der dich gegrüßt, ein Druck von lieber Hand, Von dem träumt oft noch spät des Menschen tiefst Gemüt, Solang sein Leben geht und die Erinn’rung blüht. Alte Weisheit. Es reißt kein Pflug so breite Ackerfurchen Als der, den führt die ungeübte Hand; Kein Sturm braust rauher talwärts von den Bergen Als der, den schickt der junge Lenz ins Land; Kein Himmel prahlt mit so viel hellen Sternen Als der, den tiefstes Nachtgedunkel trübt; So kränkt am meisten, was ein Mensch gesprochen Wenn’s einer sprach, der weh tut, weil er liebt. Der Glaube versetzt selbst Berge Und schöpft auf den Grund das Meer; Die Hoffnung grünt noch auf Gräbern Und wird nicht des Hoffens leer; Doch alle Gewalt der Erde Vor der Macht des Größten zerstiebt: Denn was sind Gräber und Berge und Meere Gegen Liebe, die glaubt und hofft und liebt! Ein altes Lied. Es legt sich gern auf Rosen Der bleiche Winterschnee — Die Menschen, die sich lieben, Tun sich am meisten weh! Kein Finkenschlag weckt wieder Die Rosen, die verschneit... Kein Harm so groß auf Erden, Daß Liebe ihn nicht verzeiht! Trost. Wer wundgedrückt durchs harte Leben ging, Doch Liebe trug und nichts als Liebe gab, Wenngleich er Lieb’ von andern nie empfing Auf seiner langen Wanderfahrt zum Grab, Der drück’ getrost die müden Augen ein, Er wird erwachen unterm Sternenblühn Und Gott wird ihm ein milder Richter sein: Wer viel geliebt hat, dem wird viel verziehn! Vorwurf. Was störst du meine Kreise? Laß mich in Einsamkeit, In die ich müd und leise Vergrub mein altes Leid, Mein Leid, das ich schon trage Um dich ein Leben fast In stummgewordner Klage Als eine liebe Last! Laß ab von mir, dem Müden, Der einst ein Glück ersann, Und gönn’ mir doch den Frieden, Den ich mir schwer gewann! Laß mich aus Harm und Wunden, Erlöst, befreit, verschönt, Einkehren in lichte Stunden, Durch die kein Seufzer tönt! Mir steht kein Himmel offen, Kein Weg führt mich ans Land, Was soll ich denn noch hoffen? Wer führt mich an der Hand? Und wer gibt mir zu Eigen In jauchzender Liebe sich? Mir klingts wie weinende Geigen Durchs Herz, denk ich an dich... Blick in die Sterne. In schweren Stunden blick’ empor Aus deines Lebens Qual und Enge Zum Himmel, wo durchs offne Tor Die Sterne wandeln im Gedränge. Sie wandeln hin im Silberschein, Der wie der Tau im Mondlicht funkelt, Und blicken umso heitrer drein, Je mehr die Nacht den Weg verdunkelt. Und sieh! so sollst auch du es tun Und gleich den ewig jungen Sternen, Die in der Hand Gott Vaters ruhn, Selbst übers Unglück lächeln lernen. Sollst größer als dein Schicksal sein Und über alles Niedre dich erheben Und immer heiter blicken drein, Als lebtest du ein Sternenleben! Du weißt es nicht. Ein Bächlein rinnt und weiß es nicht, Wohin sein eilig Wandern geht. Der Garten blüht und weiß es nicht, Daß er in tausend Blüten steht. Der Lenzwind weht und weiß es nicht, Wohin des Wegs ihn führt die Bahn — Du sprachst zu mir und weißt es nicht, Wie weh dein Wort mir hat getan! Zünd eine Totenkerze an! An ferne Tage mahnst du mich, Da du und ich ein Glück geheckt? O laß und rühr nicht an dem Dorn, Der dir und mir im Herzen steckt! Red nicht vom Lenz, der uns verblüht, Von Liebe, die um Liebe warb! Denk lieber, was an Schmerz uns blieb, Seit unsre Liebe weinend starb! Sei still und laß, was tot ist, ruhn Und such nicht alter Wege Spur! Trag stolz den Gram — es bricht kein Herz, Langsam muß es verbluten nur! Denk dir: ich wäre längst schon tot Und läg im Grabe klaftertief Und hörte nicht mehr, daß dein Herz Mich wieder ruft, wie einst es rief! Zünd eine Tokenkerze an Und bet für mich mit feuchtem Blick, Wie ich für dich oft heimlich bet, So wie man betet um ein Glück! Und denk dir, wenn die Qual dich sticht, Wildbrennend wie ein letzter Kuß: Daß jeder Frühling einmal welkt Und jede Liebe sterben muß! Erinnerung. In der Erinnrung liegt ein stilles Glück, Das aus der Ferne kommt zu uns zurück, Um uns in alter Liebe neu zu segnen. O halt sie warm, wie eine Mutter hegt ihr Kind, Und laß einst alle, die dir je begegnet sind, Im Geist noch einmal dir begegnen! Ein Schicksalswort. Tausend Stürme und Wetterschlag Können so schwer eine Welt nicht erschüttern, Als es im Herzen ein Wort vermag Und vor dem alle Liebenden zittern, Wenn es zwei Lippen sprechen, das Wort, Das oft tändelnd und lind Wie ein Rosenblatt im Wind Weht vom Mund leicht gesprochen fort — Aber ein Herz macht es arm oft und leer, Dieses kleine, doch schicksalsgewaltige Wort: Geh — ich liebe dich nicht mehr! Einsam. Einsam geht der Mond, der bleiche, Durch die Nacht, die schlafensmüd; Einsam träumt der Schwan am Teiche Und sein Sterben wird zum Lied. Einsam wandle durch die Tage Still auch ich und nur mein Leid, Das ich heimlich um dich trage, Folgt mir in die Einsamkeit. Zweifel. Von der Wiege bis zur Bahre, Durch die vielen langen Jahre Wirkt die Qual auf unser Wissen, Das wir einmal sterben müssen. Und des Zweifels bange Frage, Ob nach einem letzten Tage, Wenn verlöscht des Lebens Licht, Wir vor einem Weltgericht Stehn einst werden angstbeklommen, Läßt uns nicht zur Ruhe kommen. Es gibt im Leben. Es gibt im Leben soviel Leid, Daß es nur der Mensch glücklich überwindet, Der alles Schöne, das ihn freut, Aus ganzer Seele nachempfindet. Ein blauer Himmel, ein Maientag Und Veilchen auf der Heide, Ein Vogellied im stillen Hag, — Schafft das nicht jedem Freude? Wer solches Glück, das ihn umgibt, Läßt gern vom Lenz sich schenken, Der hat, was auch sein Herz betrübt, Nicht Zeit, ins Leid sich zu versenken. In ein Stammbuch. Bei allem Tun des Tags Hab’ zu der Frag den Mut: Ob’s recht war und ob drin Ein Glück für Menschen ruht. Sagt Ja dein Herz, An das die Frage du gericht’t, Dann tu’s getrost und froh — Wenn Nein, dann tu es nicht! Leicht irrt der Sinn und leicht Wird selbst der Weiseste betört, Nie aber irrt der Mensch, Der auf die Stimme seines Herzens hört. Das Menschenherz. Es ist ums Herz der Menschen Ein wundersames Ding, Und meinst du’s zu ergründen, Denkst du davon gering. Tief birgt’s in seiner Enge Der Mächte mancherlei: Die Sehnsucht und die Liebe Und manchmal auch die Treu. Es trägt in einem Raume Die Freude und das Leid, Das Hoffen und das Hassen Und auch den blassen Neid. Der Wunder größtes aber, Das in ein Herz gelegt, Viel größer als der Himmel, Der tausend Sterne trägt, Ist: daß ein Mensch dem andern, Oft flüchtig nur geschaut, Aufschließt die Brust und drinnen Ihm eine Heimat baut... Tröstung. Siehst du nicht die grauen Fäden, Fragst du oft, die trägt mein Haar? Laß doch Liebste solche Reden, Ich bin auch nicht zwanzig Jahr! Laß dein Haar vom Schnee durchziehen, Wenn nurs Herz noch fröhlich schlägt Und dir Aug und Wangen glühen Wie ein Strauch, der Rosen trägt! Schau ins Spieglein ohne Leide, Ob dein Haar sich leicht auch trübt, Denk vielmehr: Gott, welche Freude, Daß mich spät ein Herz noch liebt! Es müßte jeder Mutter Sohn... An keinem Bettler blick vorbei, der wegverstaubt Am Straßenrand dich im Vorbeigehn flehend grüßt! Ist’s seine Schuld, daß keine Krone trägt sein Haupt Und statt der Lumpen ihn nicht Hermelin umfließt? Er ist nur das, wozu ihn sein Geschick erkor, Der Götter Stiefkind eins, das tappt im Irrlichtschein, Vor dem die Freude schloß ihr goldnes Himmelstor Und dem als Los gesetzt ward, ohne Glück zu sein. Denn ging’s nach Der, die ihn als Kind oft heiß geküßt, Ihm tausend Wünsche gab ins Leben mit hinein Und als ihr Liebstes hegte, das auf Erden ist: Es müßte jeder Mutter Sohn ein König sein! Goldene Worte. Laß ungetröstet keine Menschenseele, Die leidbeschwert, von deines Hauses Schwelle gehn, Hab’ niemals Spott für deines Nächsten Fehle, Tu’ so, als hättest du sie nicht gesehn! Sei wie die Biene, die von Blüt’ zu Blüte Holt eines Frühlings Duft und Süße ein, Und sammle Liebe, wo sie dir erglühte, Dann wird dein Sterbetag noch voller Rosen sein! Kein Glanz gleicht dem, den trägt die große Stunde, Da du vergißt, wie weh ein Mensch dir hat getan, Und deckst mit Blüten zu des Grolls glutheiße Wunde: Der Siege schönste feiert, wer verzeihen kann! Heut’ ist der Tag der Toten... Heut’ ist der Tag der Toten, Wo einmal wir im Jahr Die letzten Blumen der Gärten Und Tränen bringen dar. Wo ihrer wir gedenken, Verstört und tiefbetrübt, Wie gut und treu sie waren, Wie sehr wir sie geliebt. Heut’ prangt gleich einem Garten Der Friedhof und darin Gehn viele stille Gäste Und weinen vor sich hin. O laßt, laßt ab, ihr Leute, Von eurem Traurigtun! Die Toten laßt den Toten In ihren engen Truhn. Es hat auf eure Tränen Das Leben nur ein Recht — Was frommts, wenn ihr um Tote Die Herzen euch zerbrecht? Was dort liegt in den Gräbern Sind unsre Toten nicht; Wir tragen unverlöschlich Im Herzen ihr Gesicht. Für uns schläft keiner im Tode, Der für die Welt entschlief, Solang ihn hält unsre Liebe Und ruft wie er uns rief. Drum wandert nicht zu Gräbern, Draus niemand zu euch spricht, Und spart euch Blumen und Tränen, Die Toten wissen es nicht! Protektion. Zwei Sünder wollten einst unter die Frommen Zum Herrgott hinauf in den Himmel kommen. Sie wandten drum sich mit Bitten dreist An Josef, den man den Nährvater heißt, Der, weil er selbst durch Jesu Christ Im Himmel hoffähig geworden ist, Als rettender Hort und helfend Schild Für alle lustigen Schelme gilt. Sankt Josef versprach, nicht zu rasten und ruhn Und alles was möglich für sie zu tun. Er bat auch den lieben Gott nach Kräften, Doch der wollt’ nichts wissen von solchen Geschäften. Und weil Gott Vater durchaus nicht wollte, Ward Josef böse und schalt und grollte Und drohte, geärgert über die Maßen, Er werde den Himmel sofort verlassen. Drauf meinte der Herrgott in brüsker Weise: »Leb wohl, ich wünsch dir viel Glück auf die Reise!« Da wandte flugs Sankt Josef ein: »_Bon_, aber ich gehe nicht allein! Ich nehm meine Frau und den Sohn mit mir Und such für uns Drei ein anderes Quartier!« Er sprach’s und nahm sein Weib an der Hand, Das horchend in der Nähe stand. Da war die Verlegenheit groß im Himmel; Doch war das Ende von dem Getümmel, Das sich die Sache friedlich klärte Und Gott dem Josef die Bitte gewährte. — So sind hinauf zu den Frömmsten der Frommen Einst auch zwei Taugenichtse gekommen, Welch’ Beispiel lehrt, daß es immer nützt, Wenn man auch im Himmel Protektion besitzt. Meinem toten Vater. (An seinem Namenstage.) Vor einem Jahr noch hab den Tisch Mit Rosen ich dir reich geschmückt, Ein Wort, ein liebes, dir gesagt Und warm dabei die Hand gedrückt. Da war ich reich noch durch das Glück, Daß deine Liebe ich besaß, Und nun (o Gott, kaum faß ichs ganz!) Schläfst du schon unterm Kirchhofgras. Wie hast das Leben du geliebt, Du großes Kind im grauen Haar, Das scherzend alles Leid verwand Und gern mit Frohen fröhlich war! Und nun ist deiner Augen Licht Erloschen längst — Gott weiß warum! Dein Mund, der nie ein Böses sprach, Verstummt und bleibt für ewig stumm. Ein Haufen Erde deckt dich zu, Die Nacht des Todes hüllt dich ein Und alles, was uns von dir blieb, Ist nur der Schmerz um dich allein! Leer bleibt dein Platz an unsrem Tisch Und keine Sehnsucht ruft dich her, — Die Rosen duften schwül wie sonst, Du aber siehst’s und fühlst’s nicht mehr! Und meiner Wünsche weher Klang Dringt nimmer an dein taubes Ohr... O Gott, wie traurig stimmt ein Tag, Der mahnt an das, was man verlor! Ich bin eine Stufe. Ich bin eine Stufe vorm Kirchentor, Aus blankem Marmor gehauen, Auf mir steigen nieder und steigen empor Viel Männer und schöne Frauen. Die Männer treten mit schweren Schuhn, Mit leichten Füßchen die Weiber, Als wollten sie mir nicht wehe tun Mit der Last ihrer schönen Leiber. Von drinnen dringt der Weihrauchqualm Zu mir heraus ins Freie Und Glockengebimmel und Lied und Psalm Aus frommer Beter Reihe. Ich hör es und sinn dem Wunder nach, Dem Gott in hoher Wolke, Der unterm niederen Kirchendach Anbeten sich läßt vom Volke. Ich bin eine Stufe vorm Kirchentor Und möcht mich vor Wollust strecken, Wenn über mich schreiten viel Frauen empor In rauschenden Seidenröcken, Wenn duftige Höschen und Spitzenflor Die niedlichsten Dinge mir zeigen — Ich bin eine Stufe vorm Kirchentor Und muß, was ich weiß, verschweigen... Jahre, die vorübergleiten... Jahre, die vorübergleiten, Heilen jede Seelenpein, Selbst die Tränen um die Toten Werden still und trocknen ein. Gleich den Rosen, die im Frühling Brechen heimlich auf am Strauch, Sprossen aus dem bangsten Herzen Blüten neuen Lebens auch. Blumen kommen, Früchte reifen Und die Seele, weh und wund, Die am Glück einst schon verzweifelt, Lernt vergessen, wird gesund. Wird gesund, eh sie ermessen, Wie viel Zeit indes verweht Und um wie viel Schritte näher Selbst sie ihrem Grabe steht. Gebot. Von all den Blumen, die erblühn Auf deinen rauhen Erdenwegen, Pflück was du kannst im Weiterziehn Wie’s Schnitter tun im Sonnenglühn beim Erntesegen. Die Blumen, sie alle sammle mit Fleiß Wie leuchtenden Herbstes Frucht und Gaben Und opfre freudig und heimlich-leis Sie dem, für den dir zu hoch kein Preis, Weil lieb ihn dein Herz muß haben. * * * * * Was je des Schicksals Spruch mir schickte, Mich gütig suchend oder scheu mich mied, Was je mich drückte und beglückte, Ich wob’s in Worte und es ward zum Lied. Inhaltsverzeichnis. Donauland 3 Mödling 4 Am Frauenstein 5 Eine alte Stadt 6 An den Frühling 7 Ich ging durch die Felder 8 In sternenarmen Nächten 9 Das erste Schneeglöckchen 9 Osterglocken 10 März 11 Ich will vergessen 12 Stummes Scheiden 12 Die letzten Rosen 13 Hochsommernacht 14 Einsames Wachen 14 Es geht mit leisem Wehen 15 September 16 Mittagsstille 16 In der Fremde 17 Es gibt ein Land 17 Glück 18 Heimweh 19 Heilige Nacht 20 Menschen und Sterne 20 Das weiß nur Gott allein 21 Stephan Milow 22 An Franz Keim 24 Geh lieb mit allen Menschen um 26 Eins ist, was bitter stimmt 26 Trag’s still 27 Schicksal 27 Der größte Schmerz 28 Liebe 28 Gleichnis 29 Die Wahrheit 29 Guter Rat 30 Widerlegung 30 Alte Weisheit 31 Ein altes Lied 31 Trost 32 Vorwurf 32 Blick in die Sterne 33 Du weißt es nicht 33 Zünd eine Totenkerze an 34 Erinnerung 34 Ein Schicksalswort 35 Einsam 35 Zweifel 35 Es gibt im Leben 36 In ein Stammbuch 36 Das Menschenherz 36 Tröstung 37 Es müßte jeder Mutter Sohn 38 Goldene Worte 38 Heut’ ist der Tag der Toten 39 Protektion 40 Meinem toten Vater 41 Ich bin eine Stufe 42 Jahre, die vorübergleiten 42 Gebot 43 [Illustration] *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76515 ***